Neuer Themenband »Migration und Bildung in Baden‑Württemberg 2017« erschienen

Unterschiede in Bildungsbeteiligung und Bildungserfolg reduziert - Bildungsniveau steigt insgesamt an - Zuwanderung bleibt Bildungsthema


20.02.2017

In Baden‑Württemberg sind 28 Prozent der Bevölkerung entweder selbst zugewandert oder stammen aus einer zugewanderten Familie. Neben Hessen ist das der höchste Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund in einem deutschen Flächenland. Aufgrund der jüngeren Altersstruktur verfügen Migrantinnen und Migranten über ein großes Bildungs- und ökonomisches Potential. Darauf haben die Präsidentin des Statistischen Landesamts, Dr. Carmina Brenner, und der Direktor des Landesinstituts für Schulentwicklung, Dr. Günter Klein, bei der Vorstellung des Themenbands »Migration und Bildung in Baden‑Württemberg 2017″ am 20. Februar 2017 in Stuttgart hingewiesen. Bei weiterhin steigendem Bildungsniveau bestehen jedoch Unterschiede in der Wahrnehmung von Bildungsangeboten und im Bildungserfolg zwischen einheimischer und zugewanderter Bevölkerung fort.

Der Themenband wurde gemeinsam vom Landesinstitut für Schulentwicklung und vom Statistischen Landesamt Baden‑Württemberg im Rahmen der Bildungsberichterstattung Baden‑Württemberg erstellt. Auf über 300 Seiten, ergänzt durch ein Angebot an Web-Tabellen, wird ein umfassender Überblick über Bildungsbeteiligung und Bildungserfolge von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit und ohne Migrationshintergrund geboten. Datengrundlage sind insbesondere die Mikrozensus-Befragung 2015 und die Schulstatistik aus dem Schuljahr 2015/16, ergänzt durch weitere amtliche Statistiken und Studien. Der Themenband betrachtet Daten und Forschungsergebnisse im Zusammenhang mit historischen und politischen Entwicklungen sowie der gesellschaftlichen Reaktionen darauf. Aufgearbeitet werden auch Maßnahmen im Bildungswesen, die in Folge der aktuellen Zuwanderung von Schutz- und Asylsuchenden erforderlich wurden. »Mit dem Themenband liegt die bundesweit erste umfassende Bildungsberichterstattung zu Migration und Bildung vor«, wie Dr. Günter Klein hervorhob.

 

Zunehmende Vielfalt in der Bevölkerung mit Migrationshintergrund

Baden‑Württemberg ist für Zuwandernde ein attraktives Ziel, dies gilt vor allem für die wirtschaftsstarken Ballungsgebiete. Dabei haben sich die Zuwanderungsmotive seit Bestehen des Bundeslandes mehrfach verändert. Nach dem Gastarbeiter- und Spätaussiedlerzuzug haben in jüngster Zeit die EU-Binnenwanderung und die Zuwanderung Schutz- und Asylsuchender große Bedeutung erlangt. Im Vergleich zur einheimischen Bevölkerung sind Personen mit Migrationshintergrund im Mittel deutlich jünger, aber ihre sozioökonomische Situation in der Regel ungünstiger und das Armutsrisiko dadurch höher. Im Jahr 2015 lebten in Baden‑Württemberg rund 3 Mill. Personen mit Migrationshintergrund. Davon haben annähernd 1,4 Mill. eine ausländische und knapp 1,6 Mill. die deutsche Staatsangehörigkeit. »Diese Unterscheidung können wir erst seit 2005 vornehmen, als das Merkmal Migrationshintergrund in die amtliche Statistik eingeführt wurde«, so Frau Dr. Brenner. Seit dem Schuljahr 2013/14 wird das Merkmal – allerdings mit einer etwas anderen Definition – auch in der Schulstatistik erfasst. »Damit hat sich auch die Datenlage zur Einschätzung der Integration von zugewanderten Menschen verbessert«, führte die Präsidentin des Statistischen Landesamtes aus.

Laut Schulstatistik 2015/16 hatten an allen allgemein bildenden Schulen zusammen 22 Prozent der Kinder und Jugendlichen einen Migrationshintergrund, darunter knapp 12 Prozent mit deutscher Staatsangehörigkeit und fast 10 % mit einem ausländischen Pass. An den einzelnen Schularten sind Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund unterschiedlich stark vertreten. An den Werkreal-/Hauptschulen betrug der Anteil 41 Prozent, an den Gymnasien hingegen nur 11 Prozent.

Das ergibt sich aus dem stark unterschiedlichen Übergangsverhalten in die Sekundarstufe: 2015/16 gingen 11 Prozent der Migrantinnen und Migranten und damit ein wesentlich höherer Anteil auf eine Werkreal-/Hauptschule über als Schülerinnen und Schülern ohne Migrationshintergrund, ihr Anteil lag bei 6 %. Die Übergangsquote auf das Gymnasium war mit 34 Prozent geringer als bei den Schülerinnen und Schülern ohne Migrationshintergrund mit 46 Prozent. Kaum Unterschiede gab es jedoch hinsichtlich des Übergangs auf Realschulen und Gemeinschaftsschulen. Betrachtet man das Übergangsverhalten ausländischer Schülerinnen und Schüler, so kann man große Unterschiede zwischen den Nationalitäten feststellen. »Zwischen den zahlenmäßig größten Migrantengruppen variiert die gymnasiale Besuchsquote teilweise bis um das Fünffache.«, sagte Brenner.

 

Unterschiede bei Bildungsbeteiligung und Bildungserfolgen zurückgegangen

Mit der Angleichung des Schulwahlverhaltens geht auch ein Anstieg an höheren Bildungsabschlüssen einher. Neben einem Rückgang bei Abgängerinnen und Abgängern ohne Abschluss und an Hauptschulabschlüssen sowie einer Angleichung bei den mittleren Abschlüssen ist auch ein Anstieg bei den Hochschulzugangsberechtigungen festzustellen – allerdings weniger stark als bei den Schülerinnen und Schülern ohne Migrationshintergrund. Deutliche Leistungsnachteile von Migrantinnen und Migranten zeigen sich bei den Ländervergleichen zur Überprüfung der Bildungsstandards. In den Fächern Deutsch und Mathematik unterschieden sich in der 4. Klasse die Mittelwerte von Kindern, bei denen beide Eltern im Ausland geboren wurden, von denen ohne Migrationshintergrund um den Lernfortschritt von rund einem Schuljahr. Ähnliche, teilweise noch stärker ausgeprägte Leistungsunterschiede zeigten sich bei den Ländervergleichen in Klassenstufe 9. »Erklärungsansätze dafür, warum Migrantinnen und Migranten schlechtere Ergebnisse in Schulleistungsstudien haben und formal niedrigere Bildungsabschlüsse erreichen, sind insbesondere in ungünstigeren sozioökonomischen Rahmenbedingungen und einer geringeren deutschen Sprachkompetenz zu sehen.«, so der Direktor des Landesinstituts für Schulentwicklung Dr. Günter Klein. Dabei seien die Voraussetzungen für Bildungserfolge durch die höheren Bildungsbestrebungen bei Eltern dieser Schülergruppe günstig. Ebenso lägen keine Hinweise auf eine Benachteiligung bei den Übergangsempfehlungen vor. Bei Betrachtung von Bildungsbeteiligung und Bildungsergebnissen fällt auf, dass die migrationsbezogenen Unterschiede zwischen Ausländerinnen und Ausländern auf der einen Seite und Deutschen ohne Migrationshintergrund auf der anderen am größten sind. Bei Schülerinnen und Schülern mit nur einem im Ausland geborenen Elternteil und bei eingebürgerten Migrantinnen und Migranten sind sie wesentlich geringer. Deutlich wird, dass migrationsbezogene Unterschiede umso geringer werden, je stärker die Jugendlichen und ihre Familien bereits sozial und strukturell eingebunden sind.

 

Fortgesetzte Anstrengungen zum Abbau von Bildungsunterschieden

Die Schaffung der rechtlichen Rahmenbedingungen für die Teilnahme an Bildungsangeboten z.B. im Schulgesetz ist eine wichtige Grundlage für Teilhabe an Bildungsangeboten. Dr. Günter Klein wies insbesondere auf die Sprachförderung als eine der umfangreichen Maßnahmen zum Abbau von Bildungsunterschieden hin. Ihre besondere Bedeutung zeige sich daran, dass allein im Kindergartenjahr 2015/16 über 72 000 Kinder mit intensivem Förderbedarf im Programm SPATZ gefördert wurden, davon erlernten 66 Prozent Deutsch als Zweitsprache. Der Ausbau von schulischen Ganztagsangeboten wurde fortgesetzt, da dadurch auch Kinder und Jugendliche aus sozioökonomisch schwächer gestellten Familien davon profitieren. Inzwischen sind über die Hälfte der Gymnasien und Werkreal-/Hauptschulen, stark ein Drittel der Realschulen und ein Viertel der Grundschulen Ganztagsschulen. Gemeinschaftsschulen sind grundsätzlich als Ganztagsschulen konzipiert. Ein starker Ausbau des Angebots an Vorbereitungsklassen zum Erwerb insbesondere von Deutschkenntnissen ist als Reaktion auf die Zuwanderung von Schutz- und Asylsuchenden im Jahr 2015 erfolgt. Zum Ende des Schuljahres 2015/16 waren über 32.000 Schülerinnen und Schüler in Vorbereitungsklassen der allgemein bildenden Schulen (VKL), weitere knapp 9.000 Jugendliche und junge Erwachsene in den entsprechenden VABO-Klassen der beruflichen Schulen. Die weitere Förderung nach dem Besuch der Vorbereitungsklassen ist für diese Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu bedenken.

 

Aufbau des Themenbands 2017

  • Inhalt: Migration und Bildung, Bevölkerung mit Migrationshintergrund, Bildungsbeteiligung und Bildungsergebnisse, Integration und Bildung, Unterstützungssysteme und Fördermaßnahmen, Forschungsergebnisse, Bilanz.
  • Datenquellen: Mikrozensus, Kinder- und Jugendhilfestatistik, Schulstatistik, Hochschulstatistik – alle Statistisches Landesamt; Kultusministerium; Sozialministerium; Regierungspräsidium Stuttgart, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
  • Bezugsjahre der Daten: Mikrozensus 2015, Kinder- und Jugendhilfestatistik: Stichtag 1. März 2016, Schulstatistik: Schuljahr 2015/16
  • Datenauswertung: nach Verwaltungseinheiten (Land, Region, Kreis), Geschlecht, Altersgruppe, Migrationshintergrund und Staatsangehörigkeit.
  • Herausgeber: Landesinstitut für Schulentwicklung und Statistisches Landesamt.
  • Bestellung und Abruf online: Der Themenband kann von der Internetseite www.bildungsbericht-bw.de heruntergeladen und dort als Printversion bestellt werden

 

Quelle: Statistik-bw.de